tigersprungblog

Notizen, Gedanken, Meinungen zum Profiradsport

Monat: Juni, 2010

Das Versagen der ProTour und die verpasste Chance von Birmingham

Bevor uns in wenigen Tagen, wenn in Rotterdam die Tour de France 2010 beginnt und Menschen aus der ganzen Welt dem Grand Départ in den Niederlanden entgegenfiebern, die Große Schleife wieder ganz in ihren Bann ziehen wird, lohnt es sich zur Mitte dieser Saison mal eine Problematik zu betrachten, welche im Profizirkus und unter den Radsportfans in den vergangenen Monaten für viele Diskussion und nicht zuletzt für Unverständnis gesorgt hat. Die Rede ist von der Einladungspolitik der GT-Veranstalter ASO, RCS und Unipublic (bekanntlich eigentlich auch ASO), deren Gebaren Ausdruck eines Interessenskonfliktes mit Ursache im jahrelangen Streit mit der UCI ist und die Praxis der Wild Card-Vergabe eher paradox erscheinen lässt. Grundsätzlich legen die von den Veranstaltern mit dem Weltverband für jede Rundfahrt ausgehandelten Regularien fest, dass eine gewisse Anzahl fest qualifizierter und mit dem ProTour-Status klassifizierter Rennställe automatisch einen Startplatz im Feld besitzen, das noch mit weiteren sechs Mannschaften auf 22 Teams aufgefüllt werden darf. Die damalige Übereinkunft umfasste dabei alle Inhaber einer PT-Lizenz im Jahr 2008, von denen mit Crédit Agricole und Gerolsteiner zwei bald verschwanden, sodass 16 Teams mit einem fixen Startplatz bis zu diesem Jahr übrig blieben. Zunächst betrachtet erscheint dies als eine sinnvolle Balance zwischen dem Wunsch der UCI nach einer Planungssicherheit für die finanziell und am stärksten ausgestatteten Teams und dem Wunsch der Veranstalter der jeweiligen Austragungsländer mit kleineren und engagiert fahrenden einheimischen Teams das Rennen aufzuwerten.

Giro d’Italia als Vorbote für Querelen
Dass dieses System an die Grenzen der Praktikabilität gestoßen ist, offenbart ein Blick auf die vergebenen Startplätze beim Giro d’Italia, der Tour de France oder der Vuelta a Espana so wie auf die Teamlandschaft, wie sie die letzten zwei Jahre entstanden ist. Als der Giro-Veranstalter RCS im März dieses Jahres die Entscheidung über die Wild Cards fällte, befand man sich im Team von Rundfahrtschef Angelo Zomegnan noch in der relativ komfortablen Situation, statt vier weitere Teams insgesamt sieben einladen zu können, da mit der baskischen Mannschaft Euskaltel-Euskadi und Francaise des Jeux aus Frankreich gleich zwei Teams von sich aus keine Ansprüche auf einen Start erhoben, von denen beide letztgenannten eigentlich einen festen Platz für sich hätten beanspruchen können. Durch jene Vereinbahrung aus dem Jahr 2008 gingen zwei der Wild-Cards automatisch an die inzwischen mit einer Pro Continental-Lizenz fahrenden Bouygues Telecom und Cofidis, wodurch immerhin weitere fünf zur freien Verfügung standen. Angesichts der Erfolge in den letzten Jahren waren Androni Giocattoli mit Michele Scarponi und Acqua e Sapone mit Stefano Garzelli nahezu sicher gesetzt, doch wer den italienischen Radsport kennt, weiß welche Fülle von ambitionierten Squadras sich auf dem Stiefel finden lassen und die ebenso gut zu der spektakulär angelegten Italienrundfahrt gepasst hätten. Namentlich seien hier Colnago-CSF mit dem Vierten von Mailand-San Remo, Sascha Modolo und ISD-Neri um den früheren italienischen Meister Giovanni Visconti so wie Carmiooro-NGC und Ceramica Flaminia mit dem zurückgekehrten Riccardo Ricco zu nennen. Der Grund dafür, dass letztlich neben Acqua e Sapone und Androni Giocattoli nur Colnago-CSF den Zuschlag für eine Teilnahme erhielt, ist in der Struktur bzw. des Gefälles der Pro Continental Teams zu suchen, denn längst finden sich in dieser Klasse Projekte, die noch vor nicht allzu langer Zeit von ihrem Anspruch und der Art der Professionalität ohne Frage in die oberste Liga gehört hätten. Denn selbst obwohl RadioShack mit der Fokussierung auf die gleichzeitig stattfindenden Kalifornien-Rundfahrt sich nicht um einen Start bemühte, war der Veranstalter RCS nahezu gezwungen das Cervélo TestTeam und BMC einzuladen, wollte er nicht mit Carlos Sastre und Cadel Evans zwei Mitfavoriten zu Hause lassen, von denen letzterer sogar das Rennen mit seinem Regenbogentrikot zum Zeichen des Weltmeistertitels schmücken würde. Es mag verwundern, dass diese Teams keinen ProTour-Status inne haben, doch rein wirtschaftlich gesehen benötigen diese eine solche Lizenz auch gar nicht. Diese mit viel Geld und großer Sorgfalt aufgezogenen Unternehmungen haben sich ein solch sportliches Gewicht im Profiradsport aufgebaut, welches es nahezu unmöglich macht, sie bei einer Wild Card-Vergabe zu übergehen. Gleichzeitig unterliegen sie nicht den Bestimmungen für ProTour-Teams, die zu einer Teilnahme an den 16 Rennen des World-Calendar verpflichtet sind, und müssen zudem weniger Geld für eine Lizenz bezahlen und weniger Sicherheiten hinterlegen.

Keine Tour de France für Vacansoleil und Skil-Shimano
Bei der Frankreichrundfahrt zeigt sich dieses Phänomen noch deutlicher, denn dort werden die sechs zu vergebenen Startplätze außerdem noch von Garmin, Katusha, RadioShack und Sky belegt, die allesamt zu den finanziell am besten ausgestatteten Mannschaften gehören und auch mit ProTour-Lizenz fahren, allerdings nicht durch die Regelung von 2008 qualifiziert waren. Für die Grand Boucle waren die sechs Startplätze für weitere Teams somit komplett ausgeschöpft, ohne dass eine einzige kleinere Mannschaft den Sprung auf die ganz große Bühne hatte schaffen können. Zeiten, als kleine Formationen wie RAGT zur Tour kamen scheinen passé, dabei liegt es nicht an den Bemühungen, wie dieses Frühjahr zeigte, als sich besonders Skil-Shimano und Vacansoleil für einen Start bei der größten Rundfahrt der Welt, die zudem vor ihrer Haustür beginnen würde, empfahlen. Wer im vergangenen Jahr die ebenfalls in den Niederlanden gestartete Spanienrundfahrt verfolgt hat, erinnert sich wahrscheinlich an die Unzähligen Attacken von Vacansoleil-Profis wie Johnny Hoogerland oder Lieuwe Westra, der seinem Vornamen alle Ehre machte. Sich sehr wohl bewusst, dass man für einen Tour-Start noch bessere Empfehlungsschreiben brauchen würde, versuchten sich beide Teams im März bei der ebenfalls von der ASO organisierten Fernfahrt Paris-Nizza sich in Szene zu setzen, was bei Vacansoleil sogar in einem kleinen Sponsoring des Rennens gipfelte. Am Ende jedoch war die Übermacht der Giganten mit Pro Continental-Status BMC und Cervélo im Radsportzirkus zu erdrückend und man wurde bei der Vergabe nicht berücksichtigt. Fast ist man verleitet zu sagen, die starke sportliche Breite beweise die Gesundheit des Profiradsports und zu einem großen Teil ist dies unter Betrachtung großartiger Projekte wie das des BMC Racing Teams und der Cervélo-Mannschaft zweifelsohne der Fall. In gleicher Weise bedroht dies jedoch die zweite Reihe derzeit sehr ambitionierter Teams wie Vacansoleil oder Skil-Shimano, deren langfristig angelegte Entwicklung auf den Höhepunkt einer Teilnahme am wichtigsten Rennen ausgerichtet und daran gemessen wird. Bei der Bewertung eines Sponsorings für Geldgeber ist das Erreichen eines solchen Ziels maßgeblich für das weitere Engagement und damit in der Regel für die Zukunft des jeweiligen Rennstalls. Wie aber kann man solche Mannschaften für ihre Bemühungen belohnen und gleichzeitig die Bedeutung des Events durch die Teilnahme großer Rennställe wie Sky wahren? Prinzipiell bietet die Kombination aus fest qualifizierten Topteams und weiteren per Wild Card zugelassenen Mannschaften eine Lösung des Problems, das allerdings so lange fortbestehen wird, ehe die ProTour-Lizenz nicht eine Aufwertung in ihrer Bedeutung erfährt und mehr Vorteile anstatt Verpflichtungen bringt.

Hoffnung auf UCI-Konferenz in Birmingham enttäuscht
Anfang Juni wurden die Hoffnungen auf eine solche grundlegende Reform genährt, da Gerüchten zufolge die UCI bzw. der ProTour Rat (UPTC-UCI ProTour Council) für ihre Konferenz in Birmingham am 15. Juni einen solch wichtige Reform anstrebe, deren Hauptbestandteil ein Punktesystem sein sollte, laut dem PC-Mannschaften pro Saison 18 Punkte zur Verfügung haben, mit denen man sich bei großen Rennen einkaufen könne. Aufgrund der Punktekosten für eine Tour- (9 Punkte) oder Giro- (6 Punkte) wäre es somit für Teams wie BMC plötzlich schwierig gewesen auch außerhalb der großen Rundfahrten bei prestigeträchtigen Rennen des World Calendars teilzunehmen. Enttäuschenderweise blieb ein solcher großer Wurf aus und man beschloss lediglich die Limitierung der ProTour auf 18 Mannschaften und die verpflichtende Teilnahme am Biologischen Pass für alle PT- und PC-Mannschaften. Letzteres mag bahnbrechend wirken, wird aber von den meisten Teams der zweiten Kategorie mit Ausnahme von CCC Polsat, DeRosa-Stac Plastic, Scott und Vorarlberg-Corratec ohnehin praktiziert, da dies Bedingung für die Erteilung einer Wild-Card ist. Der Beschluss von Birmingham geriet damit eher zur Symbolpolitik und eine große Chance auf eine Wende zum Guten in der Einladungsproblematik verstrich.

Einzelregelungen verhindern wirkliche Elite-Liga
Doch selbst wenn durch eine größere Reform BMC und Cervélo den Gang in die ProTour zwangsläufig hätten antreten müssen, wäre das Problem solange nicht bereinigt, bis die Vereinbarungen von 2008 für die anderen Mannschaften aufgehoben würden. Eine Eliteliga, wie sie von der UCI angestrebt wird, darf nur aus den absoluten Spitzenmannschaften bestehen, alle weiteren Teilnahmen müssen durch die sportliche Qualifikation erlangt werden. Ein ganzes Radsportjahr würde dadurch aufgewertet, wenn Mannschaften wie Footon-Servetto, Cofidis, Euskaltel-Euskadi, Fdjeux, Ag2r, Lampre, Milram, Vacansoleil und Skil-Shimano im sportlichen Wettstreit um die Wild Cards stünden. Eine verkleinerte und durch die Leistungsdichte aufgewertete ProTour muss also geschaffen werden, um den Fortbestand ihrer selbst zu rechtfertigen, denn die Dringlichkeit könnte sich in naher Zukunft weiter verschärfen, wenn die Realisierung eines geplanten australischen Topteams oder des Rennstalls von Formel-1-Fahrer Fernando Alonso mit seinem Freund Alberto Contador gelingt. Eine derartige Ausdünnung muss aber nicht zum Nachteil von Mannschaften wie Milram oder Footon-Servetto sein, denn ein auf wenige Spitzenrennen fokussierter Rennkalender kann die Erfolgsquote deutlich erhöhen und zugleich die Kapazitäten für kleinere und zugleich beispielsweise für den Sponsor wichtige Rennen wie etwa im eigenen Land freisetzen. Dass dies ein Erfolgsmodell sein kann, beweist das Team Cofidis mit viel Engagement bei den unzähligen französischen Events und gleichzeitigem erfolgreichem Abschneiden wie beim Giro d’Italia. Die Zeit ist also reif für eine finanziell starke Eliteklasse der Radsportteams und endlich für die Fans transparenten, weil sportlichen Einladungskriterien für die weiteren ambitionierten Rennställe.

Ein bürokratisches Trauerspiel

Es wäre ja nun wahrlich nicht so, als habe der Radsport allgemein und im ganz Besonderen in unserem schönen Nachbarland Österreich nicht schon genug Probleme mit der Bewältigung des Dopingschocks von 2008, Organisationsproblemen bei Rennen wie etwa dem Liga-Wettbewerb am Salzkammergut oder Sponsoringschwierigkeiten zu lösen. Kurz vor der am vierten Juli beginnenden Landesrundfahrt bangt nun auch das nach der Auflösung von Elk Haus-Simplon einzige Topteam der Alpenrepublik, Vorarlberg-Corratec, um die Teilnahme am Saisonhighlight und um die weitere Existenz, deren Bedrohung man schon in einem finanziellen Engpass vermuten konnte, als am letzten Freitag die Nachricht bekannt wurde, dass der Weltverband UCI den Rennstall vorerst suspendiert hatte. Seitens der UCI begründete man eine solche Maßnahme später gegenüber dem Internetportal Cyclingnews mit finanziellen Problemen, doch in Wahrheit bemängelte man in Aigle, dass die 19 Fahrer des Teams nicht direkt bei der Feldkircher Betreiberfirma und Lizenzinhaber Pro-Event Sports, sondern bei der Personalleasingfirma Trenkwalder angestellt waren, was nicht den Statuten für die Pro Continental-Lizenz der Mannschaft entspricht. Dies mag zwar rein formal betrachtet deshalb ein richtiger Vorgang sein, doch es drängt sich unweigerlich die Frage auf, warum man bei der UCI diesen Zustand nicht im Rahmen der Lizenzvergabe beanstandete, sondern im Juni in Mitte der Saison. Für Unmut beim österreichischen Verband sorgte nicht nur der Zeitpunkt, auch sei in dem fünfzeiligen Schreiben der UCI keine Begründung, sondern lediglich die Dauer der Sperre bis zum Saisonende enthalten gewesen, wie der ÖRV-Generalsekretär Rudolf Massak, welcher zudem treffend den Begriff Schadensmaximierung als Titulierung für den Vorgang benutzte, gegenüber dem ORF kritisierte. Bei der erstmals ausgetragenen und am heutigen Sonntag zuende gegangenen Oberösterreich-Rundfahrt leistete der nationale Verband umgehend Hilfe, indem man das Aufgebot von Vorarlberg-Corratec als Nationalmannschaft starten ließ und so den Fahrern den Fortgang des sportlichen Betriebs garantierte. Eine dauerhafte Lösung ist das nicht, dafür aber ein Beispiel wie ein Verband unbürokratisch den Radsport unterstützten kann. Bei der UCI scheint eine ähnliche Handelsmaxime nicht im Repertoire vorzukommen, anders ist ein solcher Vorgang, der nicht nur eine Teilnahme an einem wichtigen Rennen, sondern auch eine wichtige Präsentationsmöglichkeit für Sponsoren gefährdet, kaum zu erklären. Es ist unbestritten richtig, dass Lizenzvorgaben auch im Sinne der Stabilität des Profigeschäfts eingehalten werden müssen, jedoch obliegt es der UCI dies vor einer Saison zu überprüfen und davon die Vergabe des Status abhängig zu machen. Dagegen ist es untragbar, dass ein bürokratisches Versäumnis den laufenden Sportbetrieb zum Erliegen bringt und ganz konkret ohnehin rar gesäte Arbeitsplätze im Profiradsport gefährdet. Im Sinne der Attraktivität der alpenländischen Landesrundfahrt und der Bedeutung des Radsports in Österreich bleibt zu hoffen, dass es Teammanager Thomas Kofler rasch gelingt die prekäre Situation zu bereinigen und eine Grundlage für die restliche Saison zu schaffen.